Seit Jahren wird Elektromobilität in Deutschland als Antwort auf einige große Fragen unserer Zeit propagiert. Insbesondere die Politik und die Wirtschaft sehen sich damit konfrontiert, Antworten zu bieten. Aber wurden hierbei überhaupt die richtigen Fragen gestellt?
Wenn es um Megatrends geht, schauen alle auf die Großen, und das sind in Deutschland die Industrie und die Politik. Die Herausforderungen neuer Märkte, der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und die Forderung nach Digitalisierung stehen im Raum. Nach der Finanzkrise wurde mehr und mehr die Elektromobilität zum Hoffnungsträger auserkoren.
Die deutsche Automobilindustrie – Volkswagen, Daimler und BMW allen voran – gilt als als fortschrittlich und innovativ. Die großen Gewinne der vergangenen Jahre legen nahe, dass die bekannten Erfolgsrezepte auch weiterhin funktionieren. Man verlässt sich also auf die Hersteller. Zugleich erwartet man, das durch Betrug ramponierte Image durch Innovationskraft und und technischen Vorsprung am besten weltweit wiederherzustellen. Wir Deutsche sind schließlich stolz auf unsere Autos.
Die Wahlen der letzten Jahre zeigen auf allen Ebenen, dass viele Bürger sich ein grünes Gewissen leisten wollen und können. Unter anderem wird die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien erwartet. Eine funktionierende Verwaltung der bestehenden und neuen Energiequellen wird vorausgesetzt. Das Auto als omnipräsente Dreckschleuder soll selbstverständlich Teil dieser Veränderungen sein. Hitzige Diskussionen insbesondere um den Dieselmotor verunsichern. Als erfolgversprechende Alternative zu Verbrennungsmotoren rückt schließlich der elektrische Antrieb ins Bewusstsein der Bürger.
All diese Faktoren bauen mehr oder weniger öffentlich Druck auf, eine Marschrichtung für die kommenden Jahre aufzuzeigen. Die Elektromobilität als Politikum war geboren.
Fragen
Vordergründig, also in den Medien und der Werbung, aber auch in politischen Kreisen, geht es häufig um diese Themen:
- Technische Eigenschaften (Reichweite, Aufladen)
- Preise für Neuanschaffung und Unterhalt eines Elektrofahrzeugs
- Absatzzahlen (einzelner Modelle, Hersteller im Vergleich, Marktanteile)
- Anreize (Kaufprämien, gesonderte Parkplätze und Fahrspuren, Fahren in Umweltzonen)
Einige denken, dass in diesen Details die Lösungen für unsere Probleme liegen. Doch andere stellen zunehmend die weit interessanteren Fragen:
E = grün?
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Macht Elektromobilität die Welt grüner? Verdienen Elektroautos ein grünes Image?
Ein Auto will produziert werden. Das kostet viel Energie und Rohstoffe. Heutige Fahrzeuge sind (vereinfacht gesagt) kein Klumpen Stahl mehr, den man schreddert und zu neuen Autos verarbeitet. Die aktuelle Batterietechnik erfordert sehr großen Materialeinsatz. Der Energieträger im Fahrzeug entscheidet wesentlich über die Nachhaltigkeit eines Fahrzeugs.
Ein Auto will betankt werden. Das geschieht in Deutschland zu nicht unwesentlichen Teilen mit Kohlestrom, hinter dem Schadstoffausstoß steht. Viele kleine Batterien in der Fläche Deutschlands könnten als Speicher zum elementaren Teil des neuen Energienetzes werden. Das ist aber noch nicht der Fall (und meines Wissens auch nicht in Sicht).
Ein Auto will benutzt werden. Elektroautos haben wie ihre Kraftstoff verbrennenden Schwestermodelle zumeist fünf Sitzplätze. Der bloße Kauf eines Elektroautos bedeutet jedoch nicht, dass das Fahrzeug effizienter benutzt wird. Mit anderen Worten: Die meisten Elektroautofahrer kutschieren ihre eineinhalb Tonnen Blech allein herum. Daran ändern weder ein Elektromotor noch eine Batterie etwas.
Ans Ziel kommen
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Wie kommt man komfortabel, schnell und preiswert ans Ziel? Ist ein Elektroauto hier von Vorteil?
Preiswert ist es immer dann, wenn viele Nutzer das Verkehrsmittel teilen. Das beginnt bei Carsharing und Fahrgemeinschaften mit Privatfahrzeugen und wird noch konsequenter im öffentlichen Personenverkehr umgesetzt. Die Auslastung der Fahrzeuge ist besser, Fixkosten (Anschaffung, Instandhaltung, Wertverlust) werden auf alle Nutzer umgelegt. Ein eigenes Fahrzeug mag weniger Kraftstoffkosten verursachen als das Bahnticket kostet, aber die Fixkosten liegen komplett beim Halter.
Schnell kommt man dann voran, wenn die Straßen frei sind. Ausgeprägter Indivdualverkehr wirkt dem genau entgegen, denn jedes Fahrzeug nimmt Platz auf der Straße ein, bis die kritische Verkehrsdichte erreicht wird. Jedes eingesparte Fahrzeug löst diesen Konflikt ein wenig auf. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit: Schnell kommt man auch dann voran, wenn man ohne Umweg direkt an sein Ziel gelangt. Aus diesem Grund verliert der ÖPNV nicht selten den Vergleich der Reisezeit.
Komfort entsteht in der "comfort zone", dem persönlichen Wohlfühlbereich. Hier steht die Fahrt im eigenen Raum (dem Auto) dem Gedrängel, den Gerüchen und Geräuschen in Bussen und Bahnen gegenüber.
Mobilitätsbedürfnis
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Womit lässt sich das individuelle Mobilitätsbedürfnis eines Reisenden/Pendlers erfüllen?
Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, kurzfristig, günstig und komfortabel an jeden Ort zu reisen, wenn wir es nur möchten. Der Reisende/Pendler möchte unterwegs
- in Ruhe,
- witterungsunabhängig und
- zuverlässig ankommen. Die Fahrt darf
- nicht zu teuer sein,
- nicht zu lange dauern und
- keine zusätzlichen Wege verursachen.
Eine Autofahrt erfüllt 1/2/6 in vielen Fällen, 3 und 5 werden in den Ballungsräumen allerdings zum Glücksspiel. Das Fahrrad ist in den Punkten 2 und 5 nicht optimal. Der ÖPNV kann bis auf 1 alle Punkte gut erfüllen, muss hierfür aber deutlich besser aufgestellt sein als er es heute ist. Beispiele auf der ganzen Welt zeigen, wie es geht. Für deutsche Reisende/Pendler gibt es häufig kein Optimum, sondern nur das kleinere Übel.
In die Zukunft gedacht: Selbstfahrende Gondeln für einzelne Passagiere und deren geschicktes Management können allen genannten Herausforderungen besser begegnen. Aber es gibt Gründe, warum diese Zukunftsvision (noch) nicht Realität geworden ist.
Und noch ein wichtiger Aspekt: der Reisende/Pendler benötigt das Transportmittel nur von Fahrtantritt bis Fahrtende (beim Auto durchschnittliche eine Stunde am Tag). Davor und danach steht es herum oder ist für andere Nutzer verfügbar.
Technologien
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Welche Energieträger, welche Technologien und Ideen sind nachhaltig genug, um Erfolg zu haben?
Energieträger/-speicher: Angestrebt werden vor allem eine hohe Energiedichte, schnelles Laden, die sichere Anwendung und nach Möglichkeit die Nutzung nicht-seltener Rohstoffe. Die schon lang diskutierte Wasserstoff-Brennstoffzelle macht weiter Fortschritte, benötigt aber eine geeignete Infrastruktur. Sie ist mit erneuerbaren Energien kombinierbar und macht dort vielleicht sogar am meisten Sinn. Parallel werden konventionelle Batterietechnologien entwickelt, deren Marktreife nicht absehbar ist.
Antrieb: Besser als der Elektromotor wird es nicht. Er ist technisch simpel, günstig, haltbar und kann Bewegungsenergie beim Bremsen zurückgewinnen (rekuperieren). Er verursacht im Betrieb selbst keine Schadstoffemissionen.
Autonomes Fahren: Egal wie die Fahrzeuge der Zukunft aussehen mögen (Entwürfe gibt es zuhauf), kann das autonome Fahren Grundanforderungen an Mobilität erfüllen. Zum Thema wird im großen Stil geforscht, aber der Durchbruch steht noch aus. Die rechtliche Situation im öffentlichen Straßenverkehr ist unzureichend beschrieben und behindert die Vermarktung der Technologie.
Vernetzung: Hierin steckt enormes Potenzial. Was mit der Mitfahrzentrale begann, ist heute Flottenmanagement und ein zunehmendes Ineinandergreifen aller Zahnräder der Verkehrssysteme. Insbesondere im Bereich der Informatik sind auf einfache Art und Weise große Fortschritte möglich, was in privaten Initiativen wie im kommerziellen Bereich bereits Form annimmt. Dafür essenziell sind einerseits Standards für die technische Umsetzung und andererseits gesetzliche Weichenstellungen.
Forderungen
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Forderungen
... an die Nutzer, an uns alle: Eine sachliche DIskussion ist nötig. Dazu dürfen wir nicht nur die Lieblingszeitung konsultieren, sondern müssen uns über alle Seiten der Medaille informieren. Das geht heute besser denn je und ist – hier lehne ich mich aus dem Fenster – von einem mündigen Wähler in gewissem Maße nicht zu viel verlangt. Auch den eigenen Volksvertretern mitzuteilen, was man von ihrer Politik hält, soll schon geholfen haben. Dazu muss man nicht auf die Straße, Abgeordnete haben auch E-Mail ;-) .
... an die Industrie: Auch ein E-Golf ist immer noch ein Golf, aber der Mehrpreis passt nicht zur Verkehrswende. Der Mut, der bei Investitionen in die Ladeinfrastruktur fehlte, ist jetzt bei vielversprechenden Technologien gefragt. Die Branche muss agieren, nicht reagieren.
... an die Politik: Elektroautos hier zu entwickeln und vorwiegend in neuen Märkten zu verkaufen ist kein Erfolgsmodell, sondern eher Zufall. Wenn der Begriff Verkehrswende ernst gemeint ist, müssen den Kunden echte Anreize für Elektrofahrzeuge oder den ÖPNV geboten werden. Die Unternehmen brauchen Gewissheit ob der rechtlichen Situation und der politischen Marschrichtung. Phrasen dreschen, die Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse außer Acht lassen und sich von Wahl zu Wahl hangeln sind die Wähler leid.